05.11.2024
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Manchmal schrabbt es ganz nah vorbei – am aufgeben.
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Ich liege im Bett und alles in mir ist damit beschäftigt, irgendwie mit dem Zustand zu dealen, in dem ich bin. Ein wildes Durcheinander von Trauer, extremer Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Die Wellen brechen herein und ich kann wahrnehmen, wie es mich davonspült. Ich spüre, wie ich mich auflöse, in Gefilde komme, die ich nicht kenne. Ebenen berührt werden, wach werden, die bisher schliefen, nicht mitspielen durften. Es kommt ins Bewusstsein und in meine gefühlte und gelebte Welt, was ich bisher nicht fühlen und leben wollte, konnte.
Ich weiß auch, dass das mit meiner Kraft zusammenhängt. Ich habe es vor kurzem in „Schoßraumwelten“ geschrieben – diese enorme Zartheit und die Kraft, sie sind mit mir, in mir, eins. Und es wundert mich nicht, dass jetzt auch an die Oberfläche spült, was zusammen mit dieser Zartheit und mit dieser Kraft verborgen war. Und… das sind alles Erklärungen meines Verstandes, doch der hat hier überhaupt keine Macht. Genau der wird hier konfrontiert damit, dass er hier keine Wirkung hat. Was hier tobt kann er nicht beantworten. Was hier gebraucht wird, kann er nicht organisieren, nicht machen, nicht beruhigen.
Das ist eigentlich das schlimmste: Die Bedürfnisse die hier verborgen liegen zu spüren, und keine Idee zu haben, wie dem begegnet werden könnte, wo es das geben könnte. Und das Einzige was irgendwann in den Vordergrund kommt und Ruhe reinbringt ist:
ATMEN.
Ein Atemzug nach dem anderen, ganz bewusst im Körper wahrnehmen. Die Gedanken nicht weiter verfolgen, die Zeit völlig auf den Moment schrumpfen lassen. Das ist jetzt, und ich atme. Und mit diesem Atem gebe ich mein Vertrauen in meinen Körper, in meinen Schoß. Ich bin hier – und das reicht. Ich bin hier – und in mir ist Leben, dass da hin wächst, was ich bin und was zu mir gehört.
Ich atme.
Und ganz langsam kommt etwas Ruhe ins System. Kommt an, dass ich da bin und nicht mehr versuche, eine Lösung zu finden. Ich gebe mein Vertrauen in den Atem und in meinen Körper.
*
„Das Neue Sein“… das klingt immer so schön. Das klingt danach, dass dann da alles gut ist – und an so vielen Punkten erlebe ich das auch, dass Ebenen und Realitäten aufgehen, die früher einfach nicht da waren. Dass ich Tiefen und Liebe erleben kann in einer Klarheit und Intensität, von der ich früher nicht mal zu träumen gewagt hätte.
Aber es bedeutet auch, die Stellen kennen zu lernen, die eingefroren sind. Die sich bisher nicht zeigen konnten. Die in der Welt, wie sie bisher ist, nicht leben konnten und von denen wir keinerlei Ahnung haben, wie sie jemals dort leben können sollen. Wo die Menschen sind, die dazu passen, wo der Lebensraum, wo die Ressourcen, um das gesund auf die Erde zu bringen – in uns und ins Miteinander.
In meinem Erleben sind das immer wieder sehr archaische Bedürfnisse nach einem Miteinander, einer menschlichen Nähe, die sowohl aus unserer Vergangenheit kommt als auch in unserer Zukunft liegt – und die jetzt unendlich weit von dem entfernt liegt, was wir leben. Und das das nicht nur ein persönliches, „einzelnes“ Thema ist oder sein kann – weil viele der Bedürfnisse, die hier wieder frei schmelzen welche sind, die ein Miteinander erfordern. Wo es um Beziehung geht, um Nähe, um Intimität, um miteinander Leben. Ein Leben, das natürlich fließt, das Raum hat für diese Form des Miteinanders. Wo Zeit, Raum, Kapazität und auch Investment dafür zugelassen wird.
Und da wird es ein miteinander – das freischmelzen aus unseren Traumata, aus unseren mannigfachen Erfahrungen. Trauen wir uns, die einander zu zeigen, zu schenken? Trauen wir uns, einander den Raum zu geben, neu zu lernen? Trauen wir uns, dabei Fehler zu machen und uns die Fehler zu verzeihen? Trauen wir uns, uns mit unserer Bedürftigkeit und Abhängigkeit einzulassen? Trauen wir uns, unsere fein gesponnenen Cocons zu öffnen und uns verletzlich und stark zu begegnen?
*
Ich kann von mir sagen, dass ich da einen Teil habe, der immer mit großer Begeisterung JA!!! sagt. Und ich gehe, mache, forsche, öffne, wirbele durch diese Räume. Verbringe den Großteil meines Lebens mit genau diesem Forschen und Experimentieren. Ich habe meinen Beruf in diese Richtung gelenkt, bin aus den altbekannten Bahnen ausgeschert und habe das Neue gewählt. Lerne weiter, gebe weiter, tue mein Bestes.
Und… es gibt auch die Seite, die enorm müde ist. Die immer wieder erlebt, wie zäh das ist. Und die irgendwie keine Ruhe findet, kein ankommen. Für die dieser Weg unglaublich mühevoll ist. Shit… ich finde gerade echt blöd, das zu schreiben – das ist alles andere als sexy oder attraktiv. Das ist die andere Seite der Medaille: Wie bitter und hart das Leben, dieser Weg manchmal ist. Und dass wir nicht kontrollieren können, wenn es so daher kommt.
Das sind die Punkte, wo wir gefragt sind, in welcher Haltung wir dem begegnen. Ob wir in der Bitterkeit und Verzweiflung versinken oder auch diese Welle nehmen. Ob wir hier stecken bleiben oder dem Leben vertrauen, dass auch das sich wieder wandeln wird. Wo diese Zustände sein dürfen, sich befreien dürfen aus ihren Kellerräumen, nicht mehr weggedrückt werden – aber nicht das ganze Schiff mit in die Tiefe reißen.
Und manchmal schrabbt es ganz nah vorbei – am aufgeben. Am den Kopf in den Sand stecken und nicht mehr wollen. Manchmal ist der Kopf auch tagelang im Sand vergraben und die Welt dreht sich ohne uns weiter. Aber dann… erlauben wir den Funken, der das Licht bringt? Erlauben wir den Menschen, der uns die Hand reicht? Erlauben wir, rauszureichen und um Hilfe zu bitten? Erlauben wir, unser ungeschminktes, verquollenes Gesicht wieder in die Welt zu strecken?
Und erlauben wir, dass sich von hier aus die Geschichte weiter schreibt? Dass die Dinge in unser Leben kommen können, von denen wir dachten, dass es sie nicht gibt? Erlauben wir, dass das Leben uns auf unsere Bitten antwortet?
*
Ich bete für alle, deren Köpfe gerade unter den Bettdecken in Tränen vergraben sind. Deren müde Körper in Badewannen versuchen aufzutanken. Deren Herzen schmerzen, weil ihr Sehnen nicht beantwortet wird. Deren Köpfe durchdrehen, weil sie einfach nicht wissen, wie sie das in ihr Leben zaubern sollen, wonach sie sich eigentlich sehnen.
Ich bete, dass all diese Tränen und Krämpfe dazu dienen, weich zu werden. Dazu dienen, das Leben rein zu lassen, dass es uns berührt, da wo wir aufgegeben haben. Dass es uns schmilzt, wo wir verlassen wurden und verlassen haben. Dazu dienen zu verbinden, was getrennt wurde – in uns und in der Welt.
Und wenn Du berührt bist von dem, was ich hier schreibe – lade ich Dich ein zu teilen, was es in Dir berührt, wo Du in Resonanz gehst, und so ein Stück weit verbundener zu sein…
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Karin Gal-Oz-Naveh
Inspiration & Begleitung ins Neue Sein
galoznaveh*com
WEISS
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